In meiner Ausbildung zum Mediator lernte ich das Konfliktmodell von Friedrich Glasl ( https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Glasl ) kennen. Ein guter Tag und ein wirklicher Erkenntnisgewinn, denn das Modell war für mich nicht nur sehr leicht nachzuvollziehen, es half mir auch, vergangene Konflikte rückwirkend einzuordnen. Vor allem aber wurde mir klar, dass die Abläufe, unter denen wir in Konflikten so leiden, sich immer wiederholen. Das war für mich unglaublich beruhigend. Nicht ich persönlich, mein Konfliktgegner oder ein Dritter als Katalysator sind schlecht. Wir alle finden uns mehr oder weniger unverschuldet sofort in einer Abwärtsspirale wieder, die in unserer Natur liegt, sobald unsere Interessen und Bedürfnisse gegenläufig sind. Das zu erkennen ermöglicht es uns, aus der Spirale auszubrechen.
Natürlich glaube ich nicht, dass das Modell immer zu 100% auf alle Situationen zutrifft, das liegt auch nicht in der Natur eines Modells. Ich hoffe aber, dass es für Sie ebenso inspirierend ist wie für mich, dass Sie vielleicht Ihre Konflikte weniger bedrohlich wahrnehmen und dass es Sie erkennen lässt, dass kein Konflikt unlösbar ist.
Gerade in sozialen Bereichen habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass wirklich selten etwas wirklich Neues entsteht. Wir reproduzieren unser Wissen ständig. Was für mich damals neu war, ist für viele von Ihnen vielleicht Alltagswissen, Sie kennen oder können es sogar. Ich nehme mir hier nicht nur die Freiheit, das Modell von Herrn Glasl einfach wiederzugeben, sondern auch einige Stufen anders zu nennen oder zu interpretieren – im Einklang mit meiner eigenen Wahrnehmung. Gerne diskutiere ich darüber, wie ich zu diesen Änderungen komme.
Das Modell sehen Sie oben, hier meine Interpretation:
- Ebene (Es ist noch alles offen)
Stufe 1 – Irritationen –> Verhärtung
Konflikte entstehen, wenn meine Interessen und Bedürfnisse mit den Interessen und Bedürfnissen von anderen Parteien kollidieren. Das kann zunächst nur ein gelegentliches Aufeinanderprallen von Meinungen sein, meine Abneigung gegen eine Marotte oder Handlungsweise des Gegenübers, ein Ressourcenkonflikt und vieles mehr (Mehr dazu bei einem späteren Denkanstoß zu den verschiedenen Arten von Konflikten).
Stufe 2 – Debatte, Polemik
Ab hier ist meine Konfliktpartnerin durch die Erfahrungen aus Stufe 1 schon als „Gegnerin“ definiert. Ich kann sie, oder zumindest Teile von ihr nicht „leiden“ oder verstehen und lege mir Strategien zurecht, sie zu überzeugen oder ich „schieße“ verbal gegen sie. Meinungsverschiedenheiten führen zu einem Streit. Ich will die andere Partei unter Druck setzen. Schwarz-Weiß-Denken entsteht.
Eine Lösung aus eigener Kraft ist auch hier noch möglich. Vielleicht hilft eine gemeinsame Bekannte?
Stufe 3 – Taten statt Worte
Ich erhöhe den Druck auf den Konfliktpartner, um mich oder meine Meinung durchzusetzen. Gespräche breche ich ab und es findet kaum noch verbale Kommunikation statt. Das heißt nicht, dass mit meinem Gegner nicht mehr rede oder besser gesagt streite, aber ein Zuhören und Verstehen findet nicht mehr statt. Der Konflikt verschärft sich schneller. Das Mitgefühl für den Gegner geht verloren.
Lösungen für die 1. Ebene:
Auf Ebene 1, können wir den Konflikt noch ganz gut selbst lösen. Ein klärendes Gespräch. Verständnis für die unterschiedlichen Sichtweisen. Vielleicht hält man sich auch nur voneinander fern und beschränkt sich auf einen rein professionellen Umgang? Hilfe von außen, durch gemeinsame Freunde oder das „Basta“ einer Führungskraft können ebenfalls den Konflikt zumindest entschärfen. Unter Umständen endet der Konflikt sogar mit einem „Sieg“ für beide Seiten. Denn wenn er gut gelöst wird, kann ein Konflikt für Klarheit, besseres Verständnis und bessere Kooperation in der Zukunft sorgen. Hier kann auch eine Führungskraft glänzen, die klare Umgangsregeln gemeinsam erarbeitet oder vorgibt und diese auch überwacht.
- Ebene (Gewinner und Verlierer)
Stufe 4 – Koalitionen, Images
Ich suche mir Verbündete. Ich fange an, hinter dem Rücken der anderen Person über sie zu lästern und gemeinsame Bekannte oder Unbeteiligte, die die Gegnerin gar nicht kennen, in mein „Lager“ zu holen. Ich sehe mich im Recht und es geht nicht mehr um die Sache, sondern darum, den Konflikt zu gewinnen, damit die Gegnerin verliert. Es tut mir gut Zustimmung von Dritten zu bekommen, „Dampf“ abzulassen und die andere schlecht zu machen. Das senkt mein Stresslevel.
Wenn mein „Verbündeter“ jetzt die Position der anderen einnimmt oder zu vermitteln versucht, ist das zwar manchmal durchaus richtig, ob ich das allerdings hören und zulassen will, ist nicht gesagt. Ganz schnell landet mein Verbündeter dann auch auf der „Feindesliste“.
Diese Stufe ist in meinen Augen ein starker Ausdruck des Leids, welches wir alle durch Konflikte erfahren. Leid, welches wir allein nicht lange aushalten können, daher suchen wir Unterstützung für unseren „Kampf“.
Stufe 5 – Gesichtsverlust
Dadurch, dass ich den Konflikt in Stufe 4 öffentlich kommuniziert habe, droht mir jetzt nicht nur die Niederlage im Konflikt, sondern darüber hinaus auch noch ein Gesichtsverlust vor meinen Verbündeten und denen des Gegners. Damit geht es endgültig nicht mehr um eine sachliche, inhaltliche Auseinandersetzung.
Gesichtsverlust bedeutet in diesem Sinne Verlust der moralischen Glaubwürdigkeit, Schande und Scham. Daraus folgt, dass ich gewinnen muss, um mein Selbstwertgefühl zu erhalten. Ich werde alle Mittel dafür einsetzen.
Viele Japaner haben nach meiner Erfahrung ein sehr feines Gespür für diese Stufe. Wenn eine von beiden Parteien den Konflikt mit Machtmitteln gewinnt, sorgt diese Gewinnerpartei fast instinktiv dafür, der anderen Seite einen gesichtswahrenden Ausweg zu lassen – ein „Loch im Zaun”, durch das die Gegenseite schnell aus dem Konflikt entkommen kann. Oft ist es mit einer Entschuldigung und dem Verweis auf die äußeren Umstände erledigt. Natürlich wissen alle Seiten was passiert ist, aber man lächelt sich an und der Form ist Genüge getan, das Gesicht gewahrt. Mehr dazu bei einem zukünftigen Denkanstoß zur japanischen Art der Konfliktlösung.
Stufe 6 – Drohungen – Macht und Zwang als Mittel zum Sieg
Mit Drohungen versuche ich, die Situation absolut zu kontrollieren. Sie sollen meine Macht veranschaulichen. Ich drohe für die Gegnerin nachteilige Handlungen an und fordere ihren Rückzug. Hier entscheiden die Proportionen und die Möglichkeit der Durchsetzung über die Glaubwürdigkeit der Drohung und das Ergebnis. Drohungen sind an dieser Stelle meist so ungeheuerlich, dass ich mich zuvor nicht getraut hätte, sie auszusprechen. Im Zweifel muss ich sie dann auch ausführen und wenn ich das wollte, hätte ich sie schon in Stufe 3, „Taten statt Worte“, längst genutzt und den Konflikt mit einer Machtdemonstration beendet. Meist sind sie aber nur ein Bluff, in der Hoffnung, dass die andere Seite einknickt, bevor ich zur Tat schreiten muss.
Lösungen für die 2. Ebene:
Da der Konflikt sich in Ebene 2 schon lange von der Sachebene entfernt hat und „persönlich“ geworden ist, ist eine Lösung wesentlich schwieriger als in Ebene 1. Professionelle Hilfe durch Schiedsgerichte, Therapeuten und vor allem Mediatoren könnte ein Ausweg sein, wo ein wohlwollender, aber unwissender Dritter den Konflikt vielleicht noch verschärft. Sicherlich sind auch Profis nicht davor gefeit Dinge zu „verschlimmbessern“ und ohne die Einsicht der Streitparteien wird der Konflikt weiter eskalieren.
Eine Win/Win-Lösung ist zwar ebenso noch möglich, aber schwieriger zu erreichen. Ich glaube, dass Transparenz über die Bedürfnisse der Konfliktparteien trotz allem Misstrauen ein Schlüssel ist, um Konflikte auf Ebene 2 zu lösen.
Zu guter Letzt kann auch ein Machteingriff von außen, ebenso wie in Ebene 2, – etwa durch Gerichte, Führungskräfte oder sonstige mächtige Dritte – den Konflikt ersticken.
- Ebene (Nur Verlierer)
Stufe 7 – Begrenzte Vernichtung(sschläge)
Ab hier geht es mir nicht mehr um den Sieg. Es ist mir auch egal ob ich selbst Schaden nehme, solange mein Gegner einen höheren Schaden hat. Das hört sich krass an, aber es gibt unzählige Beispiele aus Nachbarschafts- und Familienkonflikten, wo eine Seite enorme Kosten in Kauf nimmt, nur um der anderen zu Schaden und umgekehrt.
Als prominentes Beispiel mag hier die Familie Dassler stehen, die aus dieser Konfliktstufe heraus mit Adidas und Puma zwei konkurrierende Weltkonzerne aufgebaut hat. Vielleicht hat diese Konkurrenz dazu geführt, dass beide Unternehmen wettbewerbsfähiger geworden sind, dass sie sich aber auch massiv geschadet haben, steht außer Frage: https://gfx.sueddeutsche.de/pages/begleiter/index.html?activeNr=3
Stufe 8 – Zersplitterung
Der Konflikt wird nun auch in Taten auf die „Koalition“ des Gegners ausgeweitet. Ich versuche meiner Gegnerin zu schaden, indem ich ebenso wie meine Gegnerin, deren Verbündete, Freunde, Familie und Kollegen attackiere. Die Freundin meiner Feindin ist meine Feindin.
Stufe 9 – Gemeinsam in den Abgrund
Die letzte Stufe ist die Stufe des akzeptierten Untergangs. Es ist mir egal ob ich vernichtet werde, solange mein Gegner und alle die mit ihm zu tun haben ebenfalls untergehen.
Wir können froh sein, dass der kalte Krieg diese Stufe nie erreicht, oder überschritten hat.
Lösungen für die 3. Ebene:
Lösungen von Konflikten auf Ebene 3 sind selten ohne äußere Mächte lösbar. Die Staatsmacht mit militärischer Intervention, Polizei und Gerichten, das Einschreiten einer Führungskraft oder die resolute Großmutter, können den Konflikt vor der Eskalation abkühlen, oder zumindest die Eskalation verhindern.
Mit viel Glück, Ausdauer und gutem Willen kann auch eine Mediation oder andere Form der Vermittlung den Konflikt in geordnete Bahnen lenken und Stufe 9 verhindern. Vielleicht sind beide Parteien aber auch schon so erschöpft, dass sie nach einer deeskalierenden Lösung suchen und vor weiterer Zerstörung zurückschrecken. Historisch scheint das aber oft erst der Fall zu sein, nachdem Stufe 9 zumindest kurzfristig erreicht oder überschritten wurde.
Kommentar:
Wie bereits geschrieben veranschaulicht Glasls Modell für mich sehr gut, wie Konflikte ablaufen. Vielleicht nicht immer exakt in diesen Stufen und erst recht nicht streng linear. Aber ich habe für jede Stufe Beispiele gefunden. Selbst für die Stufen 7-9: Denken Sie beispielweise an die Konflikte in Nordirland, Bosnien oder aktuell in Syrien.
Und dann war da auch noch meine direkte Nachbarschaft, die lieber viel Geld in Anwälte und separate Kanalanschlüsse investiert hat, als einen existierenden privaten Regenwasserkanal gemeinsam zu sanieren.
Was passiert, wenn sich mehr als eine äußere Macht oder ein Helfer einmischt, sieht man aktuell ebenfalls gut in Syrien. Auch die Intervenierenden können eine Beilegung des Konflikts nicht garantieren, sondern werden unter Umständen in den Strudel mit hineingezogen.
Grundsätzlich gilt auch, dass im Laufe der Eskalation der eigentliche Konflikt immer mehr in den Hintergrund rückt. Am Ende weiß oft niemand mehr, womit der Streit angefangen hat und wahrscheinlich werden beide Parteien eine andere Ursache mit dem jeweils anderen als Schuldigem nennen – die Wahrnehmungen weichen immer weiter voneinander ab.
Als Lösungsmöglichkeit bleibt übrigens auch das Weglaufen: Genügend räumliche Entfernung zur Gegnerin und kein weiterer Kontakt mit ihr kann den Konflikt implodieren lassen. Für mich ist das keine befriedigende Lösung, weil sie keine Bewältigung und damit kein Wachstum beinhaltet.
Und wie sieht es bei Ihnen aus? Hilft Ihnen Glasls Modell, vergangene oder aktuelle Konflikte aus Ihrer Umgebung besser einzuordnen, oder ihre eigenen Konflikte mit etwas mehr Distanz und Objektivität zu betrachten? Stellen Sie sich Ihren Konflikten? Oder Warten Sie lieber ab? Laufen Sie vielleicht sogar weg?
Es würde mich freuen, mich mit Ihnen über das Thema auszutauschen – nehmen Sie dazu doch einfach unverbindlich Kontakt auf.
Alex Becker
Dieser Text basiert auf dem Artikel Konflikteskalation nach Friedrich Glasl aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
Sehr geehrter Herr Becker,
ich schreibe eine Prüfungsarbeit in Arbeits- Organisations- und Wirtschaftspsychologie und bin im Rahmen meiner Recherche auf Ihre Abbildung „Eigene Darstellung nach F. Glasl, Konfliktdynamik & Eskalation“ gestoßen. Darf ich diese Darstellung in meiner Arbeit abbilden? Falls Sie damit einverstanden sind, wie darf ich Ihre eigene Dartellung nach Glasl für den Bildnachweis zitieren?
Für eine rasche Rückmeldung wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Freundliche Grüße
Sarah Möcke
Sehr geehrte Frau Möcke,
vielen Dank für Ihre Anfrage und bitte verzeihen Sie mir die späte Rückmeldung. Bitte fühlen Sie sich frei die Darstellung zu nutzen. Wenn Sie eine bessere Auflösung benötigen, schicke ich Ihnen auch gerne ein PDF. Schicken Sie mir einfach eine Email.
Beste Grüße
Alex Becker